Tanguy Viel: Das Mädchen, das man ruft

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Buchcover Wagenbach Verlag: Viel, Das Mädchen, das man ruft

Das Mädchen, das man ruft, ist ein Callgirl, stellt Laura fest. Sie ist in eine missbräuchliche Abhängigkeit geraten und zum Callgirl geworden: Nach einer Zeit in Paris kehrt die bildhübsche junge Laura zurück in ihre Heimat, eine bretonische Küstenstadt, und sucht Wohnung sowie Arbeit. Ihr Vater fragt beim Bürgermeister nach. Der verschafft ihr im Casino (mit Animierbetrieb) ein Appartement und einen Job als Kellnerin. Dafür erwartet er sexuelle Gegenleistungen von ihr. Diskretion versteht sich. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.

Lauras Vater Max ist nicht nur der treue Fahrer des Bürgermeisters, Le Bars. Er ist auch ein Boxer, der nach langer Pause wieder in den Ring steigen will. Viele Rechnungen sind noch offen. Als Max in den Kampf zieht, geht es nicht nur um den Ruhm: sondern auch um Verrat und verlorene Ehre. Dem machtbewussten Bürgermeister hingegen, der später sogar Minister für maritime Angelegenheiten wird, scheint nichts im Wege zu stehen. Er bekommt, was er will. Wie bei den Mafiosi schafft er das mit bloßen Andeutungen und einer gottgleichen Selbstsicherheit.

Bis Laura ihn anzeigt. Das bringt zwar zunächst etwas Unruhe. Doch ihre Anzeige hat wenig Chancen gegen das Machtgeklüngel in den oberen Etagen. So einiges spricht gegen sie: Sie hat als Dessousmodel gearbeitet, die Werbung war schon in der ganzen Stadt plakatiert. Außerdem hat sie sich in einem Pornomagazin ablichten lassen. Sie weiß um ihre Reize, schon mit 16 Jahren hat sie sich nach Paris locken lassen. Einen Schulabschluss, eine Ausbildung hat sie nicht. Und was sie den Polizisten zu Protokoll gibt, ist auch etwas naiv und ungeschickt. Wie soll man ihr da glauben?

Als Lauras Vater endlich begreift, wie sehr Le Bars ihn und seine Tochter geschädigt hat, flippt er aus und schlägt Le Bars öffentlich zusammen. Natürlich kommt er dafür ins Gefängnis. Lauras Anzeige wird ohne weitere Ermittlungen zu den Akten gelegt. Ich habe noch nicht alles verraten. Schließlich gibt es noch einen Franck im weißen Anzug und eine gealterte Königin der Nacht.

Fazit:

Was für ein brutales Geflecht aus Abhängigkeiten! Me too in der kleinen bretonischen Küstenstadt. Tanguy Viel kann Krimi, Thriller und eben auch diese Gesellschaftsskizze. Spannend geschrieben! Mir hat es gefallen, dass Max, der einsame Gladiator, sich zum letzten Kampf aufschwingt, für Gerechtigkeit!

Tanguy Viel: Das Mädchen das man ruft. Roman. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.

Verlag Klaus Wagenbach 2022, gebundene Ausgabe 160 Seiten, 20,00 Euro
ISBN 978-3-803-133 458

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