Yasmina Reza: Serge

Yasmina Reza: Serge
Buchcover Hanser Verlag: Reza, Serge

Um einen Familienausflug nach Auschwitz und Birkenau geht es beim RomanSerge“ von Yasmina Reza. Die Geschwister Popper, mit jüdischen Wurzeln und in Paris lebend, machen sich nach dem Tod der Mutter auf den Weg. Es treibt sie keine existentielle Sinn– und Wurzelsuche an, keine tiefe Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Eher geht es um die aktuellen Beziehungen in der Familie. Diese sind teils rührend, teils nervig, aber manchmal auch bitter komisch. Wie im richtigen Familienleben!

Die Geschwister Popper

Serge ist der Älteste, ein verkrachtes Genie, ein Homme à Femmes (also ein notorischer Fremdgeher) und ein Dauerraucher. „Wenn man früher nicht wusste, was ein Typ genau machte, sagte man immer Import-Export. Wenn man Serge fragt, was er macht, sagt er Unternehmensberater. Serge war immer der König der nebulösen Unternehmungen,“ teilt Jean mit.

Jean ist der Mittlere, der Ich-Erzähler im Roman. Er vermittelt zwischen Allen, bleibt jedoch selbst etwas farblos und unentschlossen. Nana ist die Jüngste im Bund. Einst war sie ein heißer Feger, heute ist sie mit einem unpassenden spanischen Mann verheiratet, so die Meinung ihrer Geschwister.

Warum nicht gemeinsam verreisen

Die Mutter von Serge, Jean und Nana ist gestorben. Nie wollte sie über ihre Vergangenheit sprechen. Nur noch wenige jüdische Freunde und der schwerkranke Cousin Maurice sind übriggeblieben. Auch sie erhellen die Familiengeschichte nicht. Zudem haben sich die Geschwister Popper bislang nicht für den Holocaust interessiert. Doch dann verkündet Enkelin Jósephine überraschend, nach Auschwitz und Birkenau reisen zu wollen. Sie ist auf den Spuren der Vergangenheit und auf Identitätssuche. Die ältere Generation stolpert eher in dieses Vorhaben hinein und reist mit. Ein schräger Familientrip beginnt.

Serge trägt dauerhaft einen schwarzen Anzug und Zigarette und will nicht das Auto verlassen. Jean vermittelt. Es geht um Holocaust-Touristen in kurzen Hosen, um viel Wodka, um trostlose Settings. Eigentlich spielt der Holocaust nur eine Hintergrundrolle. Themen sind vielmehr die Zwistigkeiten in der Familie.

Wer ist der größte Looser: Serge, der mit der Maklerin fremd gegangen ist und die Beziehung zur patenten Valentina zerstört hat? Jean, der den kleinen Luc und dessen Mutter Marion nur auf Distanz liebt? Nana, die bedingungslos zu ihrem arbeitslosen Mann steht und zu ihrem Sohn, dem angehenden Fast-Food-Koch? Make-up-Artistin Jósephine, die um die Anerkennung ihres Vaters Serge kämpft? Die Stimmung kocht hoch. Aber zu ernsthaften Brüchen kommt es nicht. Zurück in Paris geht es dann wieder um neue Katastrophen, die gemeinsam überstanden werden wollen.

Fazit

Ich habe diesen Roman gerne in einem Rutsch gelesen. Mir hat die Sprache gefallen, der scharfe Blick, der schrille Humor. Manchmal ist mir das Lachen auch im Hals stecken geblieben. Eine deutlichere Position der Autorin und ihrer Romanfiguren zur Gedenkkultur habe ich vermisst. Aber dass Leute sich banal vor dramatischem Hintergrund – hier zwei Deportationswaggons – streiten, ja das mag es geben. Yasmina Reza ist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Regisseurin und Schauspielerin. Sie kann Drama!

Yasmina Reza: Serge

Hanser Verlag 2022, gebundene Ausgabe ‏208 Seiten, 22,00 Euro

ISBN-978344627292-7

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